Die „Zauberflöte“ auf der Loreley wurde in erheblichem Maße von der G. und I. Leifheit Stiftung unterstützt.
Rhein-Lahn-Zeitung, 9. August 2016:
Die „Zauberflöte“ auf der Loreley wurde in erheblichem Maße von der G. und I. Leifheit Stiftung unterstützt.
Rhein-Lahn-Zeitung, 9. August 2016:
Rhein-Lahn-Zeitung, 3. August 2016:
Forschung Die G. und I. Leifheit-Stiftung fördert wissenschaftliche Arbeit über die Verfassungsgeschichte des Herzogtums Nassau
Von unserem Redakteur Carlo Rosenkranz
Nassau/Bielefeld. Für den Laien wirken Thema und Umfang lähmend, der Fachmann dürfte begeistert sein. Und für den Professor ist es nicht weniger als ein Lebenswerk, dem er sich geradezu euphorisch widmet. Zehntausende Buchseiten in zig Bänden sollen in den kommenden Jahren gefüllt werden. Alle drehen sich um das deutsche Verfassungsrecht zwischen 1806 und 1918. Darin werden alle in diesem Zeitraum bestehenden deutschen Einzelstaaten berücksichtigt. Zur Erforschung des Herzogtums Nassau finanziert die in Nassau ansässige G. und I. Leifheit-Stiftung für zwei Jahre eine halbe Stelle am Lehrstuhl des Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Michael Kotulla.
Rund 14 Stunden arbeitet der Jurist, schließlich will der 55-Jährige das Projekt während seiner aktiven Zeit an der Universität zum Abschluss bringen. Das Ergebnis soll nichts weniger sein als etwas nie Dagewesenes. Es ist Grundlagenforschung im Wortsinn, denn Kotulla zufolge ist die Rechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts in der Forschung bisher „völlig unterbelichtet“. Das gelte allgemein für diese Zeitperiode. Der Wissenschaftler sagt: „Von Napoleon und Kaiser Wilhelm hat jeder mal in der Schule gehört. Aber der Deutsche Bund taucht kaum auf und ist selbst einigen Professorenkollegen kein Begriff.“ Dabei seien die damaligen Entwicklungen Grundlage dessen, was wir heute sind – trotz der Brüche, die die beiden Weltkriege darstellten.
Die Recherche ist für den Professor Mühsal, Geduldsprobe und Stimulus zugleich. In den einschlägigen Archiven herrsche mitunter ein ganz eigener Rhythmus, der für den wissbegierigen Jäger zeitgenössischer Dokumente eine Herausforderung ist. „Man braucht eine Menge Leidenschaft“ sagt Kotulla, „denn Archivarbeit ist langatmig und braucht Zeit.“ Zugleich preist er die Archivare, die absolute Fachleute ihres Gebiets seien. „Ich lerne viel von ihnen“, sagt er. Die Archivare fördern vieles zutage, was den Bielefelder Lehrstuhlinhaber Entzücken bereitet. Der Grund: „Es ist ein tolles Gefühl, wenn man weiß, dass man unter den Lebenden der Erste ist, der in ein altes Dokument hineinschaut.“ Kotulla schätzt, dass 30 bis 40 Prozent der von ihm aufgestöberten Texte seit 150 Jahren niemand mehr in der Hand hatte. Entsprechend dicke Staubschichten lägen oft über den Bänden. „Ich müsste eigentlich im Blaumann arbeiten“, sagt er.
Seit Juli vergangenen Jahres wird am Band über das Verfassungsrecht des Herzogtums Nassau gearbeitet. Es wird der zehnte oder elfte in der Reihe sein und dürfte um 2018 erscheinen. Nassau gehört zu den kleineren deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts und keineswegs zu den bekanntesten. Dabei gibt es durchaus Bedeutendes zu entdecken. „Das Herzogtum gehört zu den zwei oder drei deutschen Staaten, die schon früh eine geschriebene Verfassung hatten“, erläutert Kotulla und verweist auf das Datum 1814. „Das ist für sich schon bemerkenswert.“ Beim Durchforsten der Archive und dem Auswerten der Funde betritt der Professor nach eigener Einschätzung Neuland. „Es ist bislang nicht aufgearbeitet, was das Herzogtum ausmachte und welche Rolle die dynastischen Verflechtungen spielten“, sagt Kotulla. Das soll sich nun ändern, und der Wissenschaftler ist voller Dank für die finanzielle Unterstützung der G. und I. Leifheit-Stiftung. „In unserem Fachbereich ist es nicht ganz so einfach, Sponsoren zu finden“, sagt der Lehrstuhlinhaber.
Schreibfehler inklusive
Rund 430 Texte über Nassau hat der Professor mit seinem Team bereits recherchiert. Die Dokumente, darunter auch handschriftliche, werden fotografiert und originalgetreu abgetippt – Schreibfehler und Umbrüche des Originals inklusive. „Es werden wieder rund 2000 Buchseiten zusammenkommen“, schätzt der Wissenschaftler den Umfang des Nassau-Bandes. Gerade die weniger bekannten Staaten hätten Überraschendes zu bieten. „Für mich war das Herzogtum Nassau nur irgendein Kleinstaat, aber jetzt bin ich fasziniert“, sagt Kotulla. In der Schule lerne man, dass die Paulskirchenverfassung von 1849 die modernste ihrer Zeit gewesen sei. „Doch das ist Blödsinn. Die kleinsten Staaten waren viel weiter.“ In einigen habe bereits der Ausdruck Demokratie Verwendung gefunden, obwohl er damals allgemein ein Schimpfwort gewesen sei.
Auch wenn verstaubte Schriftstücke den Kern seiner Arbeit bilden, findet der Rechtswissenschaftler in seinem Projekt zahlreiche Bezüge in die heutige Zeit. Aus dem von 1815 bis 1866 bestehenden Deutschen Bund könne man beispielsweise viele Erkenntnisse gewinnen, die für das heutige Europa von Interesse seien. „Das erkennt bislang kaum jemand“, sagt Kotulla. Dabei gehe es um die Frage, wie kleine Staaten in einem Bund ein gewisses Gewicht haben könnten, während die Großen eine Führungsrolle übernehmen. „Nicht alles war damals gut, aber man sollte mal hineinschauen und Anleihen machen.“ Spannend findet der Wissenschaftler auch, wie im Herzogtum Nassau bundesrechtliche Vorgaben umgesetzt worden sind. Und selbst das Grundgesetz der Bundesrepublik ist Kotulla zufolge nicht die Krone der Schöpfung. „Keine Frage: Die Festschreibung der Grundrechte ist hervorragend, aber viele Fragen der Organisation des Staats wurden im 19. Jahrhundert besser gelöst.“
Zwei Leidenschaften vereint
Der Bielefelder Professor hofft, dass seine Grundlagenarbeit junge Juristen motiviert, Doktorarbeiten zum Themengebiet zu schreiben. „Juristen gehen nicht gern ins Archiv, aber wir legen die Quellen vor“, sagt er. In seiner Person vereinen sich zwei Leidenschaften, die für das Forschungsprojekt unabdingbar sind. Kotulla ist nicht nur Rechtswissenschaftler, sondern auch Historiker mit Abschluss. „Das ist eine glückliche Mischung“, urteilt er selbst, obwohl er Jura in seiner Karriere den Vorzug über die „brotlose Kunst“ des Historikers gab. Beim Projekt Verfassungsgeschichte, das der Erfüllung eines Lebenstraums gleichkommt, aber erweist sich die Fächerwahl als symbiotisches Ideal. „Der Historiker allein kann bei diesem Thema nichts ausrichten, denn ihm fehlt der richtige Blick; der Jurist aber auch nicht, denn ihm fehlen die geschichtlichen Hintergründe und die Methodik.“ Nicht nur spezialisierte Geisteswissenschaftler will Kotulla mit seinem Projekt ansprechen. „Vieles ist auch für Hobbyforscher interessant“, sagt er und verweist auf die 400 Seiten umfassende Einführung über das 19. Jahrhundert.
Fachmann für Verfassungsgeschichte der Neuzeit
Prof. Michael Kotulla hat an der Philipps-Universität Marburg Rechtswissenschaft und Geschichte („Magister Artium“) studiert und habilitierte sich im März 1999 am Fachbereich Umweltwissenschaften der Universität Lüneburg für die Fächer Staats- und Verwaltungsrecht sowie Verfassungsgeschichte der Neuzeit. Der Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Umweltrecht, wurde 1999 an der Universität Bielefeld neu eingerichtet. Die dortige Forschungs- und Lehrtätigkeit erfasst nahezu sämtliche Bereiche des Staats- und Verwaltungsrechts sowie die neuzeitliche Verfassungsgeschcihte. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Umweltrecht. Die verfassungsgeschichtlichen Aktivitäten konzentrieren sich auf die Rechtsquellengrundlagenforschung. Das Hauptaugenmerk in Forschung und Lehre gilt insoweit der Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts.